Die Heinroths, ihre 1000 Vögel und die Anfänge der Verhaltensforschung
Kuriose und unterhaltsame Vogel-Beobachtungen eines Berliner Zoologen-Paares
Eine Etagenwohnung mitten in Berlin. In jedem Zimmer Vögel. Eine Nachtschwalbe brütet auf dem Teppich, ein Specht hackt Löcher in den Schrank, ein Mauersegler kreist durchs Wohnzimmer. Ein reales Szenario. Es liegt 100 Jahre zurück. Dieses Buch erzählt die Lebensgeschichte des Naturforscher-Paares Heinroth, das in seiner Wohnung fast 1.000 Vögel aufzog. Mit subtilem Sinn für Komik beschreiben die Heinroths ihre Beobachtungen und bringen dem Leser heimische Vogelarten damit ungewöhnlich nahe. Begleitet werden die kuriosen wie lehrreichen Beschreibungen von ihren besten Aufnahmen, die erst kürzlich wiederentdeckt wurden.
Spannende und interessante Fakten aus hautnaher Forschung über früher häufige und heute sehr seltene Vogelarten:
Oskar Heinroth und seine ebenso passionierte Frau Magdalene gelten als Begründer der Verhaltensforschung. Über 30 Jahre lang zogen sie in ihrer Wohnung aus den Eiern, die sie selbst gesucht hatten oder überreicht bekamen, heimische Vögel auf, beobachteten ihre Verhaltensweisen und dokumentierten sie in Text und Bildern. Für Naturkundler des frühen 20. Jahrhunderts war ein Besuch in der Vogelwohnung der Heinroths das "Non plus ultra". Heute sind diese beiden Forscher fast vergessen. Neben der Lebensgeschichte des Forscherpaares enthält das Buch die Beschreibungen von über 100 heimischen Vogelarten von Amsel bis Ziegenmelker. Das historische Bildmaterial wird ergänzt durch Originaltexte und Zitate.
So beschreibt diese unterhaltsame Naturkunde nicht nur das spannende und skurrile Leben des engagierten Forscher-Ehepaares Heinroth und ihre wissenschaftliche Leistung, sondern ist zugleich ein historisches Zeitdokument, das zum Nachdenken über das schleichende Verschwinden der Vögel in Mitteleuropa anregt.
Autoren: Karl Schulze-Hagen, Gabriele Kaiser, Oskar und Magdalena Heinroth
Der Arzt und Biologe Dr. Karl Schulze-Hagen führt ein Doppelleben. Im Alltag kümmert er sich um Schwangere in einer Gemeinschaftspraxis, in der Freizeit untersuchte er viele Jahre die Fortpflanzung von Singvögeln. Aus Zeitmangel forscht er inzwischen über die Geschichte der Ornithologie, denn das geht auch abends nach der Berufsarbeit. Die unter Vogelkundlern nicht seltenen exzentrischen und passionierten Persönlichkeiten haben es ihm besonders angetan. Als Paradebeispiel hierfür können die - fast in Vergessenheit geratenen - Heinroths und ihre Leistungen gelten. Das Resultat seiner vielfältigen Studien sind über 80 Publikationen und fünf Bücher, darunter zwei, die zum "Best Bird Book of the Year" in Großbritannien gewählt wurden.
Oskar Heinroth (1847-1945) war Zoologe, Direktor des Aquariums im Berliner Zoo und Lehrer von Konrad Lorenz, außerdem exzellenter Fotograf. Zusammen mit seiner ersten Frau Magdalene hat er in ihrer privaten Berliner Mietwohnung im Lauf von 28 Jahren ca. 1000 Vögel (von 286 Arten) vom Ei an aufgezogen und die Details ihrer Jugendentwicklung in Bild und Wort beschrieben. Daraus entstand das einzigartige Werk "Vögel Mitteleuropas" (1926-1933), 4 voluminösen Bände mit über 1000 Seiten und 511 ganzseitigen Tafeln, das die Vergleichende Verhaltensforschung an Vögeln begründete. Ca. 500 seiner 20.000 Fotografien haben den Berliner Bombenhagel wie durch ein Wunder überlebt, viele davon sind einzigartige und ausdrucksstarke Portraits unserer heimischen Vogelwelt.
Dr. Gabriele Kaiser hat Bibliothekswissenschaft und Geschichte studiert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin. Sie promovierte und arbeitet zu historischen Handschriften Deutschlands, der Schweiz und Australiens, u.a. über den Arzt, Alchimisten und Buchdrucker Leonhard Thurneysser zum Thurn. Zuletzt veröffentlichte sie mit Diethelm Eikermann mit Die Pest in Berlin 1576 eine wiederentdeckte Pestschrift. Zudem kuratiert sie historisch-naturwissenschaftliche Ausstellungen, darunter über den Zoologen und Berliner Tierpark-Direktor Heinrich Dathe. Derzeit arbeitet sie über naturkundliche Expeditionen im frühen 20. Jahrhundert.
1.Auflage 2020, 272 Seiten, 136 farbige Abbildungen, gebundene Ausgabe